Das Lingnerschloss wieder in Verwaltung der Stadt Dresden
Von Bernhard K. Heck
Wegen nicht mehr tragfähiger Geldrückstände sah sich der Schloss-Förderverein des Lingnerschlosses und des bebauten Grundstücke Bautzner Str. 132 außerstande, das Lingnerschloss fertig zu sanieren. Nun hat die Stadt Dresden die Notbremse gezogen und den Erbbaurechts-Vertrag nach den Kriterien des „Heimfall“ aufgelöst und das Schloss wieder in ihren Besitz zurückgenommen. Der Begriff Heimfall bezeichnet die Rückübertragung eines Rechts an den ursprünglichen Rechtsinhaber. Der Heimfall beim Erbbau ist in Paragraf 32 des Erbbaurechtsgesetz (ErbbauRG) geregelt und bedeutet das vorzeitige Ende des Erbbauvertrages, vor Ablauf der eigentlich vereinbarten Laufzeit. Die Landeshauptstadt Dresden ist Eigentümerin des mit dem Lingnerschloss bebauten Grundstücks Bautzner Straße 132. Im Jahr 2003 übertrug sie dem gemeinnützigen Förderverein Lingnerschloss e.V. das Erbbaurecht an dem Grundstück, der sich seither auf der Basis eines Erbbaurechtsvertrages für den Verein und seine ehrenamtlichen Helfer verantwortlich zeigte. Dem 1. Vorsitzenden Dr. Peter Lenk gelang es nicht, die entsprechend erforderlichen Gelder zu generieren und damit die Liquidität des Fördervereins zu erhalten. Hintergrund waren die komplexen Umstände der ausbleibenden Spenden und Einnahmen bei Sanierung, Unterhaltung und Bewirtschaftung des Lingnerschlosses, für die sich der Förderverein Lingnerschloss engagierte. Auf Grund von erheblichen Zahlungsrückstände gegenüber der Landeshauptstadt Dresden hatte der Stadtrat den Oberbürgermeister in der Sitzung vom 6. Juli 2023 (Beschluss zur Vorlage V2213/23) ermächtigt, das Erbbaurecht am Lingnerschloss auf die Landeshauptstadt rückübertragen zu lassen.
„Nach intensiven Bemühungen um eine für beide Seiten rechtlich sichere und wirtschaftlich tragfähige Lösung, hat sich in der Gesamtabwägung letztlich gezeigt, dass die Ausübung des sogenannten Heimfalls – dem gesetzlich und vertraglich verankerten Recht der Grundstückseigentümerin auf Rückübertragung des Erbbaurechts – die rechtlich und wirtschaftlich vernünftigere Handlungsoption darstellt. Aus diesem Grund hat die Landeshauptstadt Dresden nun den Heimfall des Erbbaurechts gegenüber dem Förderverein ausgeübt. Ein entsprechendes Schreiben ging dem Verein in den letzten Tagen zu“, begründete der Beigeordnete für Stadtentwicklung, Bau, Verkehr und Liegenschaften, Stephan Kühn diesen gravierenden Schritt.
Das Schloss entstand unter der Stabführung des Berliner Landbaumeisters Adolph Lohse in den Jahren 1850 bis 1853 nahezu zeitparallel mit Schloss Albrechtsberg und Villa Stockhausen – dem heutigen Lingnerschloss – im Stile des Berliner Spätklassizismus. Vorbilder waren die berühmten Renaissance-Paläste des italienischen Hochadels. Die Gestaltung der Gartenanlagen wurde Eduard Neide anvertraut, dem seinerzeit wohl berühmtesten deutschen Gartenarchitekten. Berliner Bauhandwerker schufen unter Verwendung des traditionellen sächsischen Sandsteins ein Bauwerk, das heute zu den großartigsten Zeugnissen spätklassizistischer Baukunst gehört. Nacheigentümer waren ab 1891 der Dresdner Industrielle Bruno Naumann (Fa. Seidel & Naumann) sowie ab 1906 der „Odolkönig“ Karl August Lingner, auf dessen Veranlassung 1908 gravierende Umbauten im Stile der Zeit unter Leitung des bekannten Dresdner Architekten Wilhelm Kreis erfolgten. Der offene Balkon auf der Südseite des Obergeschosses musste schon 1901 einer geschlossenen Glasveranda weichen. Im Festsaal des Erdgeschosses wurden drei moderne Orgelprospekte eingebaut, an deren Klang Lingner seine Freunde hin und wieder per Telefon teilhaben ließ. Von der Schlossterrasse führte eine schienengebundene Kabinenseilbahn für acht Personen den Weinberg hinab zu Lingners Lieblingsplatz, auf dem später, seinem Wunsche gemäß, ein Mausoleum in Elbnähe am Hang, als letzte Ruhestätte für den Schlossherrn errichtet wurde.
Als Teil eines von hoher sozialer Verantwortung getragenen Vermächtnisses aus dem Jahr 1916, dem Todesjahr Lingners, wurde das Schloss und das Anwesen 1921 Eigentum der Stadt Dresden. Es war der Wunsch Karl August Lingners, Haus und Parkanlage nach seiner Lebenszeit den Dresdnern zu öffnen und das verbrieft für immer zu moderaten Preisen. Leider hat die Geschichte des 20. Jahrhunderts diesem Anliegen nur wenig Raum gelassen. Nach 1921 wurde die Villa – von den Dresdnern inzwischen liebevoll „Lingnerschloss“ genannt – zunächst von verschiedenen Privatpersonen genutzt, u. a. von deutschen Offiziersfamilien der nahe gelegenen Albertkasernen, auch diente es in den 1930er Jahren als Kinderheim und Bildungsstätte, gelegentlich auch als Spielstätte für öffentliche Konzerte und in den Kriegsjahren als Hilfskrankenhaus für Kriegsverletzte.
Vom Bombenhagel des 2. Weltkrieges nahezu unversehrt, wurde das Lingnerschloss zwischen 1945 und 1947 durch die sowjetische Militäradministration genutzt. 1955 begann die zweite große Umbauphase des Schlossgebäudes für Ziele und Aufgaben des „Dresdner Klubs“, einem elitären Zirkel international renommierter Dresdener Intellektueller, der bis 1993 hier seine Heimstatt gefunden hatte. Vorausgegangen war ein entsprechender Beschluss von „Partei und Regierung“, derartige Begegnungsstätten in allen 16 Bezirken der DDR zu schaffen. Als Gründungspräsident und Klubvorsitzender über einen Zeitraum von 15 Jahren wurde der herausragende Dresdner Physiker Manfred von Ardenne berufen, der im März 1957 auch eine richtungsweisende Eröffnungsrede hielt. Ab 1972 erfolgte die Zuordnung des Dresdner Klubs zum Kulturbund der DDR in Berlin, verbunden mit der Angliederung des „Victor-Klemperer-Klubs“ der TU Dresden, später auch des „Carl-Gustav-Carus-Klubs“ der Medizinischen Akademie Dresden und später mit der elitären Umbenennung in „Dresdner Klub der Intelligenz“ – ohne Zuspruch der Dresdner Bevölkerung. Nach fast 10 Jahren Leerstand gründeten im September 2002 kulturell interessierte Dresdner Bürger den gemeinnützigen Förderverein Lingnerschloss e.V. „Bürger engagieren sich für ihre Stadt“ – unter diesem Leitmotiv engagierten sich über 100 Mitglieder für den Erhalt und die Restaurierung des Schlosses.
Im Statement der Stadt Dresden heißt es: „Die Landeshauptstadt Dresden schätzt und würdigt die geleistete Arbeit des Fördervereins Lingnerschloss e.V. ausdrücklich und bedankt sich für das ehrenamtliche Wirken aller Vereinsmitglieder in den vergangenen 20 Jahren.“ Nach Übergang des Lingnerschlosses auf die Stadt wird das Amt für Hochbau und Immobilienverwaltung die übergangsweise Betreibung des Objektes neu beauftragen, damit soll sichergestellt werden, dass bereits geplante Veranstaltungen, wie z. B. Hochzeiten, Feiern oder ähnliches wie beabsichtigt stattfinden können. Die mittel- und langfristige Perspektive des Lingnerschlosses wird derzeit in einem von der Stadtverwaltung erarbeiteten Schlösserkonzept, das auch die Schlösser Albrechtsberg und Schönfeld in den Blick nehmen wird, untersucht und dem Stadtrat voraussichtlich 2024 vorgelegt.
© Presse Dresden/ Heck