Deutscher Brückenbaupreis 2023 in der Messe Dresden
Straßen- und Eisenbahnbrücken für die „Stadtbahnbrücke“ Stuttgart und die kleinste Eisenbahnbrücke der Welt in Hamburg
Der Einsatz neuartiger Carbon Hänger verleiht Netzwerkbogenbrücken einen wahren Entwicklungsschub für anspruchsvolle Bedingungen. Um das südliche Stadtgebiet Stuttgarts sowie das Messegelände und den neuen Fernbahnhof am Flughafen Stuttgart besser zu erschließen, wurde die Stadtbahnlinie U6 verlängert. Mit der vorgegebenen Trassierung über die Autobahn A8 und einer Spannweite von ca. 80 Metern musste eine Brücke mit obenliegendem Tragwerk verwirklicht werden. Konzipiert als integrale Netzwerkbogenbrücke mit Hängern aus Carbon , deren Hauptfeld die gesamten unterführten Verkehrsflächen stützenfrei überspannt, ergeben sich zusammen mit den offen gestalteten Seitenfeldern freie Sichtbeziehungen – trotz der auf hohen Erddämmen angeordneten neuen Trasse. Eine besondere Innovation stellen die geneigten, sich kreuzenden Hänger Seile aus Carbon-Zugelementen dar, die ein ästhetisches und gleichzeitig effizientes Tragwerk ermöglichen. Nur mit dem Einsatz von Carbon Hängern war die gewählte Kombination aus geringem Bogenstich mit flachen Bogenquerschnitten bei der vorgegebenen Trassierung sowohl der überführten U-Bahn als auch der unterführten Autobahn möglich.
Eine schlanke Betonfahrbahnplatte als Ãœberbau bietet ausreichend Eigengewicht für ein optimales Hänger-Layout des Netzwerkbogens als Herzstück des Tragwerks. Die Entwurfsplanung – mit Hängern aus Spiralseilen und dem Einsatz von Carbon in vorgespannten Tragwerken – ermöglichte den ersten Einsatz von Carbon Hängern bei Netzwerkbogenbrücken in Deutschland. Das „Prunkstück“ der Netzwerkbogen im Bereich des Hauptfelds der Brücke wird über zwei auskragende Sprengwerke abgefangen. Die geneigten und überkreuzten Hänger des Netzwerkbogens wirken beim lokalen Lastabtrag der Radlasten in unmittelbarer Nähe des Hängers mit, beteiligen sich jedoch auch am Lastabtrag aus unsymmetrischen Lasten, wobei aus Bogen, Deck und Hängern eine Art Fachwerk entsteht. Die Hänger übernehmen hier die Funktion als Schubfeld zwischen Bogen und Deck.
Dank eines ausgeklügelten, an die Untergründe und Nutzungsbesonderheiten angepassten Lagerungsschemas gelingt es, den Bewegungsruhepunkt in Brückenmitte einzustellen. Verformungen an den Widerlagern bleiben so weit begrenzt, dass auf Schienenauszüge verzichtet werden konnte. Die Erddämme zur Weiterführung der Trasse wurden als selbsttragende, kunststoffbewehrte Erdbauwerke ausgeführt. Der Netzwerkbogen mit Zugelementen aus Carbonfaser kann CO2-Emissionen im Bau vielfältiger Brückenprojekte signifikant senken und bietet so das Potenzial, sowohl ökologisch als auch wirtschaftlich einen Beitrag zur Ressourcenschonung im Bereich der stark beanspruchten Infrastruktur zu leisten. Das Brückenbauwerk leistet damit einen wertvollen Beitrag zum ressourcenschonenden, nachhaltigen Bauen. Es verkörpert eine richtungsweisende Innovation, deren konstruktive Leichtigkeit und herausragende Gestaltung überzeugt.
Die kleinste Eisenbahnbrücke der Welt – ein minimalistischer Entwurf für anspruchsvolle Bedingungen.
Die Modelleisenbahnausstellung „Miniatur-Wunderland“ ist im Block D des Weltkulturerbe Speicherstadt Hamburg angesiedelt. Für eine notwendige Erweiterung wurden Möglichkeiten im gegenüberliegenden Block L33 gefunden. Dieser wird durch den ca. 25 Meter breiten Kehrwieder-Fleet vom Block D als Wasserstraße genutzt. Eine feingliedrige Fachwerkbrücke – ein integrales, lagerloses Tragwerk – verbindet heute die Ausstellungsflächen im jeweils dritten Boden der Speicherhäuser D und L diagonal. Die sichtbare Neigung zwischen den Gebäuden gleicht einen geringen Höhenunterschied zwischen den zu verbindenden Geschossen aus. Je nach Gezeiten beträgt die Höhe der Brücke über dem Kehrwieder-Fleet 12 bis 18 Meter. Eine Auflagerung der Brücke auf den bestehenden Speicherfassaden – und damit die Lagerung als Einfeldträger – war auf Grund von Schäden an den Kaimauern nicht möglich. Die innovative Ingenieursleistung besteht in der Lagerung hinter der Fassade, wo lange Stützen zusammen mit dem Fachwerkträger ein Rahmentragwerk bilden. Der Lastabtrag erfolgt über eigenständige Hohlprofil-Stützenstränge und Gründungselemente, welche die Last weiter im Bauwerksinneren gründen.
Das Haupttragwerk besteht aus einem Fachwerk mit vertikalen Ständern und Zugdiagonalen. Die Lasten aus der Brücke wurden ins Innere der beiden Speicherhäuser zurückgezogen und dort gegründet. Dazu wurde auf eine Abfangung der Brückenlasten durch rautenförmige Stahlfachwerke in den Speicherkellern zurückgegriffen. Diese Gründungsfachwerke benötigen aufgrund der Überflutungsgefahr der Keller einen dauerhaften Korrosionsschutz. Als integrales lagerloses Tragwerk ist die Brücke wartungsarm und vollständig rückbaubar. Insbesondere zur bestmöglichen Minimierung der Abmessungen der sichtbaren Tragwerksteile, des Montagegewichtes auf nur 40 Tonnen sowie des Inspektions- und Wartungsaufwandes wurde sie als integrale Brücke ausgeführt. Dazu ist der Überbau mit den vertikalen Stützensträngen an Obergurt und Untergurt rahmenartig verschweißt.
Die Brücke ist allseitig von einer wärmedämmenden Hülle umschlossen. Die vollflächige Festverglasung der seitlichen Fassaden nimmt die Glasteilung der Fachwerkständer auf, um den ruhigen, transparenten Gesamteindruck zu unterstreichen. Dabei weist die entspiegelte Verglasung eine höchstmögliche Transparenz auf. Durch die filigrane Stahlkonstruktion der Brücke entsteht der Eindruck von Leichtigkeit – die großen Verglasungen tragen dazu bei und werden durch vertikale und horizontale Flachpressleisten gehalten. Die Übergabe erfolgte im April 2021 und ermöglicht eine bedeutende Erweiterung des beliebten „Miniatur Wunderlands“ Hamburg.
© Bernhard Heck